Logbuch Canis lupus familiaris – Sternzeit 143.59284°

Immer, wenn wir sie treffen, bin ich von ihrer unsichtbaren Ausstrahlung ergriffen. Was hat sie in ihren Lebensjahren erfahren? Was hat dieses Urvertrauen, dass die Welt ein guter, sicherer Ort ist, ihr unerschütterliches Selbstvertrauen, hervorgebracht? Warum begegnet sie den Menschen so zärtlich und sanft? Aus welchem Napf der Weisheit holt sie diese gesegnete Beherrschung, an der stressige Situationen abprallen; die Fähigkeit, auf Überschwänglichkeit oder Gefühlsausbrüchen von Artgenossen kontrolliert und angemessen zu reagieren? Es wird wohl ihr Geheimnis bleiben.

Aber käme der Film „Schicksalsjahre einer Hündin“ in die Kinos und ihr säßet neben mir in der Reihe, könntet ihr mich vor so einer Premiere vor lauter Aufregung kaum ertragen. Und endlich, der erlösende Dreiklang schiebt die schweren Vorhänge der Leinwand zur Seite. Prasselnder Regen geht auf den Asphalt nieder. Im diffusen Licht spärlicher Straßenbeleuchtung nasskalter Nacht huscht ein schlanker Hund an uns vorbei. In der Ferne heulen Fahrzeugsirenen. Die Kamera, auf Höhe der Nasen- bis zur Schwanzspitze des Hundes eingestellt, heftet sich an seine Fersen. Gedrungenen Trabes folgen wir ihm, zügig vorbei an Häuserecken über eine Ampelkreuzung bis in den Hinterhof irgendeiner Bar.
Wir ahnen bereits, dass wir uns im Dschungel einer Großstadt befinden, in der auch nachts keine Ruhe einkehrt. Sein halber Körper verschwindet hinter Mülltonnen. Er wedelt, man hört ein leises Fiepen und dann wendet er sich ab, verschwindet aus dem Bild. Wir zoomen uns näher, hinter die Tonnen. Orchestrale Musikeinspielung verleiht dezent und leise dem Schauplatz seinen Auftakt. Eingerollt auf Kartonagen, blicken uns die müden freundlichen Augen einer Hündin an. Aber, ach herrjeh, unter ihr kommen fünf kleine Würmchen, kaum größer als eine Hand, zum Vorschein. Unter ihnen unsere Protagonistin, gerade erst ein paar Tage alt. Hier beginnt ihr Leben, ihre abenteuerliche Reise aus ihrer Perspektive. Im rauen jedoch selbstbestimmten Alltag eines Moskauer Straßenhunderudels, in dem sie weitab von Sicherheit das Überleben kennenlernt. Wir werden Zeuge von Situationen, die mit unseren Mitgefühl Achterbahn fahren und uns in den bequemen Kinoklappsesseln hin und her rutschen lassen. Aus der Sicht unserer Hauptdarstellerin erfahren wir, wie es ist, von der Straße, einem Leben, das man anders nicht kennt, weggepflückt zu werden. Auf ihren Stationen werden wir die ausgeklügelten Fügungen des Schicksals bestaunen. Schließlich – Bögen streichen verheißungsvoll über die Geigen – werden wir im Tierheim Eisenberg ankommen. Eine Stimme, nur ein Wort mit Freude ausgesprochen, in der Wärme und ein Versprechen zwei Seelen zueinander hinzieht wie die Motten ins Licht. „Chara“ Der Vorhang fällt.

Schade! Aber hey, die Stimme kam uns doch sehr bekannt vor! Ab hier und von völlig anderen Abenteuern ihrer „russischen Olga“, wie sie sie manchmal liebevoll nennt, weiß unsere Manu einiges zu berichten. 

(t.b.c.)


(C) 2025 Anja Ziegenbein

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