08.00 Uhr, ein schöner Morgen, kühl, trocken, Sonnenschein. Sozusagen ein Win-Win-Morgen. Das Erkundungsbedürfnis des Hundes wird heute bei einem ausgedehnten abwechslungsreichen Spaziergang und bester Laune des Menschen ausreichend gestillt. So dass der Hund anschließend seinem täglichen 12- bis 14-stündigen Schlafbedürfnis (Toutes les attentions) zufrieden nachkommen und der Mensch, platt vom Hab-acht-sein, etwas ausgezehrt bedingt eines chronischen Schlafdefizites, jedoch weder durchnässt, noch durchfroren, sich jener Tätigkeiten widmen kann, welche familiäre Bedürfnisse sichern. So der Plan!
Nun der Bericht basierend auf reiner Beobachtung:
Hund blickt zum Menschen. Mit dem Umhängen der Gassigürteltasche, Geschirr in der linken und Leine in der rechten Hand signalisiert dieser, dass die morgendliche Routine starten kann. Hund läuft lockeren Zweitaktgangs, also im Trab zum Tor. Mensch hält das Geschirr auf Kopfhöhe des Hundes vor seine Nase. Hund macht zwei Schritte zurück. Steht regungslos, locker aufgestellter Ohren, geradem Rücken darüber im Bogen gekehrter Rute, stabiler Beine weder eingeknickt, noch steif mit Blick auf die Gassitasche vor dem Menschen. Während der Mensch in die Gürteltasche greift, gleitet der Hund mit seinem Kopf ins Geschirr und schreitet voran durch das geöffnete Tor zur angrenzenden Allee – um diese Stunde von Gleichgesinnten leicht frequentiert. Hund bleibt vor dem ersten Kreuzungsbereich und der Links- oder Rechtsentscheidung stehen. Sein Kopf schraubt sich aus den Schulterblättern empor, sodass sich seine normale Körperhöhe um die Hälfte vergrößert. Sein Blick scannt das Areal zu seiner Rechten, wobei er die Luft bei leicht geöffnetem Fang in regelmäßig Abständen und mit nach hinten gezogenen Mundwinkeln bei gleichzeitig bewegter Nase in sich zieht. Geht anschließend zwei Schritte vor, wendet den Kopf in entgegengesetzte Richtung des fortlaufenden leicht ansteigenden Landschaftsbereiches zu seiner Linken. Wiederholt selbe Methodik. Mensch wartet geduldig im Hintergrund bis dieses allmorgendliche Ritual ausreichend vollzogen wurde. Links durchquert eine wedelnde Rute, sehr wahrscheinlich zur dreizehnjährigen weiblichen Nachbarsdackelin gehörend, die kniehohen Gräser. Nach gefühlt fünf Minuten teilen sich die Büschel und jene Freilaufende erscheint gemächlichen Ganges schnuppernder Weise im Sichtfeld. Hund registriert es, wendet sich ab. Rechts weht der Wind durch die Büsche. Hund fällt eine Entscheidung, indem er geschmeidigen Schrittes rechts einbiegt. Hier werden die ersten zehn Meter im Zickzack, gesenkten Hauptes einzelne Pflanzen einer umfangreichen Geruchsprobe unterzogen. Mensch läuft an lockerer Leine hinterher, behält während dessen die Umgebung im Blick. Weitere zehn Meter kommt der Hund ins Rollen – heißt – seine Beine setzten sich bei geradem Rücken und richtungsorientierten aufrechtem Kopf, fast zügigen Ganges in Bewegung. Der Mensch passt sein Schritttempo an, sodass die Leine weiterhin schön durchhängt und behält ohne Lautäußerungen jeglicher Art aufmerksame Vorausschau. Hund macht eine Kehrtwendung, setzt sich frontal vor den Menschen. Beide blicken sich in die Augen. Hund fest, ohne zu zwinkern, Mensch fragend und ab und zu hinter den Rücken des Hundes aufwärts in die Allee blinzelnd. Mensch wendet sich ab, macht ein paar entschlossen wirkende Schritte in Richtung des Weges der vorab eingeschlagen wurde. Bis ein leichter Ruck der Leine, aufgrund ihrer Länge wurde das Ende erreicht, ihn stoppt. Er blickt zum Hund. Dieser verharrt in gleicher Position festen Blickes aufrecht sitzend. Mensch geht zurück, einmal um die Hundestatue herum in entgegengesetzte Richtung. Hund bleibt konsequent kraftvollen Blickes in entschiedener Sitzposition. Zweihundert Meter oberhalb, für das bloße Auge kaum sichtbar, nähert sich ein weiteres Leinenpaar, nebeneinander, zügigen Schrittes. Bei kleiner werdender Distanz, ca. auf dreißig Meter Entfernung, wird für den Menschen mit sitzendem Hund erkennbar, dass es sich hierbei um zwei männliche Vertreter gemischter Spezies, Retrieverrüden Pelle und Pelleherrchen handelt. „Hey der Pelle!“ mit aufatmender Stimme gibt Mensch Lautäußerung. Hund dreht sich um – hundertachtzig Grad. Sein Hinterteil heftet sich erneut auf den staubigen Untergrund.
Bericht wird an dieser Stelle stark verkürzt, da er auf sachlicher Ebene zu detailreich wird…
Pellehund kommt wie ein spanischer Matador dem sitzenden Hund entgegen, um zwei Meter davor abrupt stehen zu bleiben, den Blick seitlich abzuwenden. Hierbei senkt sich sein Kopf und seine niederfrequentiert schwingende Rute. Sitzender Hund erhebt sich und nach einem kurzen Austausch verschiedener Gesten, entscheidet der Hund Pelle zu begleiten. Vorbei am Startpunkt des Unternehmens bis zum nahegelegenen pellichen Wohnsitzt, wo jener hinter der Tür verschwindend seine morgendliche Beute in Form von Pellets vertilgt. Hund nimmt erneut eine aufrecht sitzende frontale Position zum Menschen ein. Ebenso wie den festen Blick in die Augen des Selbigen. Während der Mensch noch fragend davorsteht, schießt Hund blitzartig, spitz wie ein Pfeil, hart wie ein Geschoss nach vorne in Richtung Straße – heute gesäumt von parkenden Fahrzeugen, die das Sichtfeld erheblich einschränken. Den Schmerz des Schultergelenks, welches droht aus der Verankerung zu reißen und der Katapultwirkung der Leine standhaltend, kommt der unvorhergesehene Auslöser nun auch für den Wahrnehmungsbereich des Menschen zum Vorschein. Auf der anderen Straßenseite läuft ein Nachbarsirishsetter weiblichen Geschlechts, die Konkurrenz, vorbei. Auch wenn Mensch gelernt hat, den Hund höflich zu bitten, solch einer Situation, entgegen aller Instinkte mit Contenance zu begegnen, ist es hierfür zu spät. Der Hund befindet sich, seiner Körpersprache anschaulich entnehmbar, bereits mit eindeutigen Absichten mitten in einer Unterhaltung. Zwar leise dafür sehr geradezu auch von anderer Straßenseite deutlich erkennbar. Wahrscheinlich müssen noch bestimmte Details bezüglich einiger ausstehender Revierfragen unverzüglich geklärt werden. Man sieht sich einfach zu selten, um diese Gelegenheit nicht auf naturgegebener Basis auszutragen. Rückhaltegurt verhindert es. Mensch versucht, entgegen seiner elterlichen Erziehung, sich nicht in Gespräche anderer einzumischen und sie ausreden zu lassen, die Aufmerksamkeit des Hundes auf den Inhalt der Gassitasche zu lenken. Hund bleibt konzentriert bei dem was er der Nachbarin übermitteln muss. Irish-Setterin, heute erstaunlich Laissez-faire, wird in die heimatliche Gasse gelenkt, verschwindet aus dem Konfliktbereich und Hund hat jetzt Zeit für die Gassitasche. Setzt sich aufrecht frontal vor den Menschen mit diesem sonderlich festen Blick, allerdings auf die Tasche geheftet. Mensch schüttelt den Kopf und mit einer leichten Drehung öffnet er die Richtung in der sich beide nun endlich zu einer anständigen Runde fortbewegen könnten. Hund bleibt sitzen. Blick hebt sich zu den Augen des Menschen. Mensch geht ein paar Schritte in gedachte Richtung. Hund bleibt sitzen. Mensch bleibt stehen, entgegnet mit genervtem Augenausdruck – pardon – einem Augenrollen. Mensch wechselt die Laufrichtung zur heimatlichen Gasse hin. Hund erhebt sich, überholt und trabt lockeren gemäßigten Ganges nach Hause. Dort angekommen ist es 8.30 Uhr.
Man möchte anmerken: Welch brillant autoritäres Auftreten! Das Wort Dominanz drängt sich auf, wird jedoch zu oft mit einer generellen Unterjochungspersönlichkeit in Verbindung gebracht. Das ist Hund ganz sicher nicht! Sie weiß einfach was sie will und Mensch versucht auf seine Art die Bedürfnisse dieser Spezis herauszufinden, auch wenn seine Pläne in Rauch aufgehen.
PS: Ein Bericht ohne Interpretation vorrangig emotionsbedingter Verhaltensweisen oben beschriebenen Kontextes ist eine interessante Herausforderung, jedoch wie ein Stück Erdbeer-Sahne-Torte ohne Geschmack?!?
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